(September 2016) MedicalMountains zum EU-Entwurf der Medizinprodukteverordnung: Veränderungen in der Medizintechnik – Deutsche Innovationskultur gefährdet
Nach langem Ringen liegt seit Mai der endgültige Entwurf der neuen Medizinprodukteverordnung der Europäischen Union vor und die Verabschiedung ist absehbar. Doch bereits im Vorfeld sind deutliche Verschärfungen für die Medizintechnikbranche in Kraft getreten.
Eine durch die MedicalMountains AG, die Clusterorganisation für die Medizintechnik, und die Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwarzwald-Baar-Heuberg durchgeführte Umfrage bei den Unternehmen zeigt das ernstzunehmende Ausmaß bereits eingetretener Veränderungen in der Branche. Die Umfrage wurde an rund 500 Unternehmen der Medizintechnikbranche versandt. Hauptsächlich sind diese in der Region Tuttlingen angesiedelt, aber auch in der sonstigen Region Schwarzwald-Baar-Heuberg sowie in den angrenzenden Regionen und in ganz Baden-Württemberg. Insgesamt haben 121 Unternehmen an der Befragung teilgenommen. „Diese Rücklaufquote lässt ein gutes Ergebnis der allgemeinen Stimmungslage der Branche zu“, so Yvonne Glienke, Vorstand der MedicalMountains AG.
Nach den Ergebnissen der Umfrage zeigt sich, dass sich für viele Medizintechnikunternehmen schon jetzt eine deutlich verschärfte Situation eingestellt hat und bereits jetzt weniger Neuprodukte in den Markt eingeführt werden. „Die erhöhten regulatorischen Anforderungen bremsen die Innovationskraft der Branche drastisch aus“, so Yvonne Glienke. Steigende Kosten, strengere Auflagen, erheblich verlängerte Zulassungszeiten, erhöhter Personal- und Zeitaufwand führten zu weniger Produktivität und Produktvielfalt. Verzögerte Markteintritte durch verlängerte Zulassungszeiten zögen Wettbewerbsnachteile nach sich.
„Sinkende Umsätze bei deutlich erhöhten Kosten schwächen mittel- und langfristig die Wirtschaftskraft besonders der kleinen und mittelständischen Unternehmen und führen zu stagnierenden und reduzierten Investitionen“, blickt Glienke in die Zukunft.
Bei 35 Prozent der antwortenden Unternehmen wurde bereits ein unangekündigtes Audit durch die sogenannte „benannte Stelle“, wie beispielsweise MDC, DQS, TÜV oder Dekra durchgeführt. Dafür seien Mehrkosten von rund 8.000 Euro entstanden. Die Kosten für reguläre Audits seien seit 2014 zusätzlich um durchschnittlich 43 Prozent gestiegen. Außerdem hätten im letzten Jahr 62 Prozent der Unternehmen zusätzliches Personal eingestellt, um das Qualitätsmanagement und die Produktzertifizierungen aufrechterhalten zu können. Diese Mehrkosten für Audits, Personal oder externe Dienstleister könnten bei 76 Prozent der Unternehmen nicht auf die Produkte umgelegt und müssten von den Unternehmen selbst getragen werden.
Die Zeiten für ein Überwachungsaudit hätten sich im Schnitt um sechs Stunden, bei einem Rezertifizierungsaudit um zehn Stunden verlängert. Das binde nicht nur Ressourcen im Unternehmen, sondern 28 Prozent der Befragten hätten durch die Verzögerungen bereits Umsatzeinbußen zu verzeichnen.
Als Konsequenz auf die steigenden Kosten und erheblich verlängerten Zulassungszeiten habe bereits die Mehrheit der Unternehmen (74 Prozent) ihr Produktportfolio reduziert oder werde es in naher Zukunft tun. 64 Prozent der Unternehmen würden davon abgehalten, neue Produkte auf den Markt zu bringen, und 58 Prozent der Unternehmen zögen schon jetzt Konsequenzen in ihren Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.
„Ein Wechsel der benannten Stelle ist gar nicht so einfach. Zum einen ist der Aufwand für einen Wechsel immens, zum anderen ist es eine große Herausforderung, eine andere benannte Stelle zu finden, die noch Kapazitäten frei hat“, sagt Yvonne Glienke. 34 Prozent der Befragten kennen Unternehmen, die keine benannte Stelle bekommen haben und damit ein Wechsel der benannten Stelle oder die Vermarktung eines neuen Produktes nicht möglich war.
Eine weitere Belastung der Unternehmen seien die Kontrollen durch die Regierungspräsidien als Überwachungsbehörden. Bereits die Hälfte der befragten Unternehmen wurde vom Regierungspräsidium auditiert. Auch hier entstünden wieder zusätzliche Kosten, die von den Unternehmen getragen werden müssen: Durchschnittlich 3.900 Euro Kosten für das Audit und weitere Kosten in Höhe von 5.800 Euro.
„Im Allgemeinen wurden das Fach- und Branchenwissen der Regierungspräsidien als weniger gut als das der benannten Stellen eingestuft. Die wesentliche Herausforderung ist allerdings, dass die Produktakten der Unternehmen doppelt geprüft werden, zum einen von der benannten Stelle und zum anderen von den Regierungspräsidien. „Hier muss die Abstimmung beider Stellen verbessert werden. Das würde den Aufwand der Unternehmen deutlich reduzieren und die Prozesse und deren Wirtschaftlichkeit immens optimieren“, sagt die Clustermanagerin.
„Mit dieser Stimmungslage der Medizintechnikbranche geht dem Standort Deutschland für die Zukunft eine Innovationskultur verloren“, so Glienke. Gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen waren und seien noch als Tüftler und Innovationsschmieden bekannt, auf deren Rücken die Bürokratie gerade ausgetragen werde. Durch die erhöhten regulatorischen Anforderungen würden diese Innovationstreiber vom Markt verdrängt. Arbeits- und Ausbildungsplatzverluste seien die Folge „Dabei sind die Folgen durch die neue Medizinprodukteverordnung der EU noch nicht einmal berücksichtigt und führen sicherlich zu weiteren Verwerfungen im Markt.“
Quelle Text und Bild: MedicalMountains