Antibiotikaverbrauch weiter unter dem Niveau vor der Pandemie

(Februar 2024) Nachdem die Zahl der Verordnungen von Antibiotika in den Jahren 2020 und 2021 rückläufig war, stieg sie im Jahr 2022 wieder an. Sie lag aber mit knapp 31 Millionen Verordnungen etwa zehn Prozent unter dem Wert von 2019 (vor Pandemie). Der Verordnungsanteil von Reserveantibiotika blieb trotz stabil und lag zuletzt bei 42 Prozent.

Im Jahr 2022 wurden insgesamt 31 Millionen Verordnungen von Antibiotika im Wert von 733 Millionen Euro zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet. Das entspricht fast jeder 25. ambulanten Verordnung in der GKV. Der Anteil der Reserveantibiotika lag mit 42 Prozent weiter auf ähnlichem Niveau wie in den „Corona-Jahren“ 2020 und 2021 und etwa 5 Prozent unter dem Verordnungsanteil von 2019. Das WIdO verzeichnet für diese Wirkstoffe bereits seit 2013 sinkende Verordnungszahlen.

„Trotz des grundsätzlich positiven Trends werden Reserveantibiotika immer noch zu oft verordnet. Sie sollten den Leitlinien entsprechend nur im Bedarfsfall bei schweren bakteriellen Erkrankungen eingesetzt werden“, sagt Helmut Schröder, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Reserveantibiotika seien Medikamente, die Mittel der zweiten Wahl darstellten und für deren Einsatz eine strenge Indikation vorgesehen sei. „Je sorgloser sie verordnet werden, desto resistenter werden Bakterien gegen Antibiotika. Die einstigen Wunderwaffen gegen Infektionskrankheiten werden durch ihren starken Einsatz sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tierhaltung zunehmend stumpfer“, warnt Schröder. Die Einteilung in Standard- und Reserveantibiotika hat das WIdO mit Unterstützung von Prof. Dr. Winfried V. Kern vom Zentrum Infektionsmedizin am Universitätsklinikum Freiburg erstellt. Dabei gibt es deutliche regionale Unterschiede beim Einsatz von Reserveantibiotika.

Die Pharmaindustrie hat nur wenige neue Antibiotika entwickelt: Im Zuge des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) hat das Bundeskabinett unter anderem verstärkte finanzielle Anreize für die Forschung und Entwicklung neuer Reserveantibiotika angekündigt. In den vergangenen zehn Jahren waren lediglich neun von insgesamt 362 Wirkstoffen, die neu in den Markt eingeführt worden sind, Antibiotika. Zudem entfielen von den im Jahr 2022 verordneten knapp 2.500 verschiedenen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen nur 57 auf Reserveantibiotika. „Daher ist es besonders problematisch, dass deren Wirksamkeit durch die hohen Verschreibungsraten aufs Spiel gesetzt wird“, so Schröder.

Der Antibiotikaverbrauch ist auch in der Tierhaltung rückläufig.
Die in den letzten Jahren häufig berichteten Lieferengpässe bei ausgewählten Antibiotika könnten die angespannte Situation weiter verschärfen. Vor allem von den Engpässen betroffen waren Standardantibiotika wie Amoxicillin, Phenoxymethylpenicillin und Ampicillin, aber auch Reserveantibiotika wie Cotrimoxazol und Cefaclor. Das Abweichen von der Standardtherapie durch die Nutzung eines anderen verfügbaren (Reserve-)Antibiotikums kann die Gefahr von Resistenzbildungen erhöhen. Diverse Fachgesellschaften haben im Zuge der Lieferengpässe erneut einen bewussten und gezielten Einsatz von (Reserve)-Antibiotika gefordert. Damit in Deutschland Versorgungsengpässe vermieden werden, müsse der Gesetzgeber durch ein verpflichtendes Meldeverfahren von pharmazeutischen Herstellern, Großhändlern und Apotheken für eine lückenlose Transparenz über die komplette Lieferkette für Antibiotika und andere Arzneimittel sorgen.

Neue Wirkstoffe werden benötigt

Das WIdO weist anlässlich der aktuellen Auswertung darauf hin, dass neben einer zurückhaltenden Verordnung in der Human- und Tiermedizin auch Wirkstoffe mit neuen Wirkprinzipien benötigt werden, die in der Lage sind, die gegebenen Resistenzen zu überwinden. Laut Schröder scheine der betriebswirtschaftliche Anreiz zu fehlen: „Die Pharmaindustrie fokussiert sich lieber auf Wirkstoffe, mit denen noch höhere Preise und noch höhere Umsätze erzielt werden können.“ Um hier gegenzusteuern, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2018 bis zu 500 Millionen Euro für zehn Jahre bereitgestellt, mit denen unter anderem die Entwicklung neuer Antibiotika unterstützt werden soll. „Diese öffentliche Förderung wird hoffentlich helfen, innovative Arzneimittel an den Start zu bringen. Allerdings muss sichergestellt werden, dass die öffentliche Hand bei diesen Wirkstoffen nicht doppelt zur Kasse gebeten wird – einmal für die Forschungsförderung und andererseits für die von der pharmazeutischen Industrie aufgerufenen hohen Preise“, so Schröder. Eine grundsätzlich öffentliche Finanzierung von Forschung und Entwicklung, die auch in der Wissenschaft diskutiert werde, könnte einen Ausweg bieten. Die pharmazeutische Industrie könne dann im Rahmen von Lizenzierungsmodellen die Produktion und den Vertrieb übernehmen.

Quelle Text: Wissenschaftliches Institut der AOK

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