E-Health: Die Bevölkerung ist weiter als die Politik

(Dezember 2022) Die Bevölkerung in Deutschland hat wenig Berührungsängste mit der digitalen Medizin. Während der Corona-Pandemie gab es einen regelrechten Boom bei der Nutzung von Gesundheits-Apps und Online-Arztsprechstunden.

Im Jahr 2021 luden sich fast 50 Prozent der Bevölkerung die Corona-Warn-App innerhalb weniger Wochen auf das eigene Handy – eine Entwicklung mit einem Tempo, das es sie nie zuvor im Gesundheitsbereich gab. Als die Fitnessstudios geschlossen waren, nutzte knapp jede dritte Person einen Online-Gesundheitskurs. Jeder Zweite misst seitdem seine Gesundheit mit Smartphone, App oder Smartwatch. 17 Prozent managen ihre Medikamenteneinnahme mit dem Handy. Auch aktuell halten diese Trends fast unvermindert an.

Das sind die Ergebnisse der aktuellen repräsentativen Studie EPatient Survey 2022, die seit dem Jahr 2010 mit rund 6.000 Menschen in Deutschland  einmal jährlich durchgeführt wird. „Die Bevölkerung in Deutschland“, so Dr. Alexander Schachinger, Leiter der Befragung, „ist bei der digitalen Nutzung von Gesundheitsangeboten weiter als die staatliche Gesundheitspolitik. Deutschland hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dringenden Nachholbedarf. Es ist bisher nicht gelungen, eine nationale Strategie zu entwickeln, die sich an den Erfahrungen von Großbritannien oder Dänemark orientiert.“ Der E-Health-Markt in Deutschland ist in hunderte Einzellösungen zersplittert, die nicht zentral vernetzt und kaum für die medizinische Forschung nutzbar sind. Sein Fazit: „Das immer wieder verschleppte Einführen einer einheitlichen IT Infrastruktur für eine elektronische Patientenakte führt zu einem völlig fragmentierten Marktgeschehen.“
Auch der wissenschaftliche Begleiter der Studie, Professor Klaus Hurrelmann von der Hertie School Berlin, zieht kritische Bilanz: „Die deutsche Bevölkerung ist bereit für E-Health, aber die Politik liefert nicht. Wenn das so weitergeht, zeichnet sich der Ausverkauf der gesundheitlichen Vitaldaten der Bevölkerung in Deutschland ins Ausland ab. Schon heute wird der Einfluss vor allem der amerikanischen Internetkonzerne wie Google und Amazon immer stärker, weil sie sich über ihre Angebote Zugriff auf die Vitaldaten verschaffen und sich zusätzlich in Einrichtungen der medizinischen Versorgung und der Gesundheitsversicherung einkaufen.“
Weitere Ergebnisse der Studie:
Die Trendanalysen des EPatient Survey zeigen auf:
– dass der digitale Impfpass innerhalb weniger Monate von 0% auf 50%
Verbreitung fand,
– dass die Online-Arztsprechstunde ebenfalls von 0% auf 16%
Verbreitung fand – auch stabil bleibend nach der Pandemie.
– Vermessen von Bewegung, Schlaf, Stress oder Schmerzen mit
digitalen Helfern führt jeder zweite durch.
– 17% nutzen regelmäßig eine Medikamenten-App und 16% scannen mit dem
Handy ihr Rezept zur Online-Bestellung ein.
– Ob Online-Diagnostik, Gesundheitskurse oder
Online-Arztsprechstunde: Jeder dritte zahlt diese Leistungen ohne
Erstattung aus eigener Tasche.
Aufgrund der zu komplizierten Angebotslandschaft von digitalen Gesundheitslösungen ist deren Nutzung stark vom Bildungsstand und Nettoeinkommen abhängig. So bestimmt der soziale Status in Deutschland, ob Prävention und ärztliche Beratung bei den Bürgern ankommen. Beispielsweise wurde die Online-Arztsprechstunde von
Personen mit Abitur oder Studium zu 20 Prozent genutzt, von Personen mit Hauptschulabschluß nur zu 11 Prozent. Die Gesundheitspolitik lässt die Patientinnen und Patienten nicht nur mit einem Anbieterflickenteppich allein, sie akzeptiert sogar eine Versorgungsungleichheit.
Quelle Text: ePatient Analytics
Quelle Bild: A. Schachinger auf der Medica @Mirjam Bauer