Gut angenommen: Informationsveranstaltung zur neuen Medizinprodukteverordnung

BU: (v.l.) Karl-Heinz Fischer, Dr. Jan-Henning Martens, Harald Rentschler, Yvonne Glienke und Michael Eberhard(Mai 2017) Wie sehr die neue Medizinprodukteverordnung die Inhaber von medizintechnischen Firmen beschäftigt, zeigte sich Anfang Mai: Rund 350 Vertreter der Branche aus Tuttlingen und dem Umkreis sind der Einladung von MedicalMountains, TechnologyMountains und der Stadt Tuttlingen gefolgt und nahmen an der Informationsveranstaltung „Gespräche zur Zukunft – Das Weltzentrum der Medizintechnik im Wandel der neuen Europäischen Medizinprodukteverordnung“ teil.

Yvonne Glienke, Vorstand der MedicalMountains AG, betonte zu Beginn der Veranstaltung, dass der Abend einen ersten Überblick über die mehr als 550 Seiten umfassende neue Europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) verschaffen solle. Die aktuelle europäische Richtlinie umfasst lediglich 65 Seiten, das deutsche Gesetz 30 Seiten.

„Wir können diese heute nicht komplett erfassen. Wir werden Sie aber bei der Umsetzung in Zukunft unterstützen und begleiten“, erklärte sie und verwies auch darauf, dass durch die Zusammenarbeit mit der Industrie und der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, Hauptgesellschafter der Clusterinitiative, seit 2012 mehrere Positionspapiere erstellt wurden, die Veränderungen in der neuen Verordnung bewirkten, das Allerschlimmste abwenden konnten, und „schlussendlich maßgeblich zur Verzögerung der Veröffentlichung der neuen Verordnung beigetragen haben.“ Insbesondere bei der Klassifizierung der Produkte konnten diese Positionspapiere erhebliche Verbesserungen für die Tuttlinger Unternehmern erreichen.

„Wir müssen uns aktiv der Herausforderung stellen“, betonte auch der Erste Bürgermeister Emil Buschle, der auf die rund 400 mittelständischen Inhabergeführten Firmen der Branche in und um Tuttlingen verwies. „Wir müssen die Betriebe sensibilisieren und aufmerksam machen auf die neuen Herausforderungen. Das ist eine wichtige Arbeit für die Sicherheit von Jobs und dem Standort“, erklärte Buschle. Er betonte die Wichtigkeit der Clusterorganisation MedicalMountains, die die Interessen der Betriebe bündle und dadurch mehr Einfluss nehmen könne. „Ich bin zuversichtlich, dass wir und Sie diese Herausforderung schaffen“, stellte Emil Buschle fest.

Dass auch die Benannten Stellen zu kämpfen haben, gab Referent Harald Rentschler, Geschäftsführer der mdc medical device certification GmbH, Stuttgart, bekannt. „Im Juni 2020 wird der absolute Geltungsbeginn der neuen Verordnung sein. Vor Ende 2018/Anfang 2019 werden die Benannten Stellen jedoch kaum handlungsfähig sein“, bemerkte er. Die Umsetzung erfordere mehr Personal, würde mehr Zeit für die Kontrollen in Anspruch nehmen, und könne für die Unternehmer mit einem im Mittel etwa verdoppelten Kostenaufwand verbunden sein.

Dr. Jan Henning Martens, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht bei Friedrich Graf von Westphalen und Partner mbB in Freiburg ging auf die rechtliche Stellung der Zulieferer, Original Equipment Manufacturer (OEM) und Hersteller nach der neuen MDR ein und fragte in die aufmerksame Runde, „Was ist zu regeln, wer haftet, wie lassen sich Risiken verringern?“ Er verwies darauf, dass die Konstellation OEM/PLM (Private Label Manufacturer) in der bisherigen Form in der neuen MDR nicht ausdrücklich verboten, deren Fortbestand aber kritisch sei. „Ich hoffe, dass es eine starke Lobby gibt, die sich auf europäischer Ebene dafür einsetzt, das OEM/PLM-Modell weiterhin zu ermöglichen.“

„Wie kann ich meinen Betrieb auf die neue Verordnung vorbereiten, um die kommenden Anforderungen zu meistern“, fragte Dipl.-Ing. Karl-Heinz Fischer, Geschäftsführer von Fischer QMS, Tuttlingen in die Runde. „Sie benötigen eine verantwortliche Person für die Einhaltung der neuen MDR; diese kann allerdings bei Betrieben unter 50 Angestellten auch extern beauftragt werden. Der externe Dienstleister muss allerdings eine jederzeit abrufbare, qualifizierte Person nachweisen. Gründen Sie ein Team, setzen Sie sich intensiv mit der zeitlichen Frist auseinander, sorgen Sie für eine ausreichende Budgetierung, alle Qualitätssicherungs-vereinbarungen mit Kunden bzw. Zulieferern gehören auf den Prüfstand. Bereiten Sie für Produkte mit alter Zertifizierung eine Übernahme in die neue Verordnung vor, konzentrieren Sie Ihre Produktpalette, wechseln Sie Benannte Stellen nicht kurz vor Torschluss, Ihr Geschäftsmodell steht auf dem Prüfstand“, mahnte er die Unternehmer, und erklärte, dass er glaube, dass der ganze Anpassungsprozess noch zehn Jahre lang Unsicherheiten mit sich bringe und für viele eine existenzielle Herausforderung sei – aber auch die Chance neue Akzente zu setzen.

In der anschließenden Diskussion nahm auch Michael Eberhard, Entwicklungsleiter der Rudolf Medical GmbH + Co. KG aus Fridingen teil. Mit seiner Aussage: „Ich gehe mit meiner Produktion zurück auf Los, muss alles rekapitulieren“ sieht er die neue MDR als Chance und verweis darauf, wie wichtig es sei, künftig verstärkt Synergien zu nutzen. Er stellte auch in den Raum, dass es mehr als drei Jahre benötige, um die neuen Anforderungen zu meistern. Harald Rentschler und Karl-Heinz Fischer sehen vor allem negative, kritische Vorzeichen für das OEM/PLM Geschäftsmodell und stellten in den Raum, dass dieses wohl nicht mehr in der bisherigen Version weitergeführt werden könne.

„Starten Sie jetzt, nehmen Sie sich jetzt die Zeit, alles vorzubereiten. Suchen Sie rechtzeitig Personal. Wir unterstützen Sie mit Seminaren und Vorträgen, erstellen aktuell auch eine Checkliste zur Unterstützung. Geben Sie uns Feedback, damit wir uns für Sie einsetzen können, denn gemeinsam sind wir stärker“, beendete Yvonne Glienke, Vorstand der MedicalMountains AG den informativen Teil des Abends. Dieser bot den Gästen bei einem „Get together“ noch genügend Raum zum persönlichen Gespräch und Austausch, von dem sie regen Gebrauch machten.

Quelle Bild und Text: Medical Mountains

(v.l.) Karl-Heinz Fischer, Dr. Jan-Henning Martens, Harald Rentschler, Yvonne Glienke und Michael Eberhard