IVDR – Trockene Realität oder spannende Herausforderung?

(Oktober 2018) Nach mehrjährigen Verhandlungen sind die neuen EU-Verordnungen für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika am 25. Mai 2017 offiziell in Kraft getreten. Nach einer fünfjährigen Übergangszeit (bis 26. Mai 2022) sind alle IVD-Hersteller verpflichtet, sie anzuwenden. In einem Interview erklärt Jörg Stockhardt, gelernter Chemiker und früherer Produktentwickler, der heute entwicklungsbegleitend zur Umsetzung der Rechtslage und zum Qualitätsmanagement berät, über die Herausforderungen der IVDR.

Die Verordnung umfasst eine neue Klassifizierungsstruktur (Bewertungsklassen A–D), die sich nach der Zweckbestimmung der Produkte richtet. Wenn ein Hersteller für ein Produkt mehrere Zweckbestimmungen angibt und das Produkt mehr als einer Klasse zuzuordnen ist, wird es in die jeweils höchste der möglichen Klassen eingestuft. Die neue Verordnung führt zu zusätzlichen Anforderungen für die Zulassung (Konformitätsbewertung) neuer und bestehender IVDs. Dies gilt besonders für die deutlich gestiegenen Anforderungen im Rahmen der technischen Dokumentation und der klinischen Studien (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ TXT/?uri=CELEX:32017R0746).

mt-medizintechnik: Herr Stockhardt, Sie haben früher selbst In-vitro-Diagnostika in Darmstadt entwickelt – was raten Sie Herstellern heute?

Jörg Stockhardt: Zur damaligen Zeit galt noch nicht mal die Richtlinie IVDD 98/79/EG, doch nachdem die neue IVDR seit letztem Jahr in Kraft getreten und gültig ist, muss diese EU-Vorgabe spätestens zum 26. Mai 2022 umgesetzt werden. Das ist ein wenig wie bei der im Frühjahr ‚so plötzlich‘ aufgetretenen Datenschutz Grundverordnung DSGVO. Alle hatten ewig Zeit, aber getan wurde erst kurz vor Ablauf der Übergangsfrist etwas, denn das Ende der Frist kam viel zu überraschend …

Ich rate jedem, die verbleibende Zeit sinnvoll vorbereitend zu nutzen!

Bisher musste man nur nachweisen, dass Produkte sicher sind. Heute kommt hinzu, dass sie die vorgegebene Leistung auch erreichen müssen. Doch dies ist ein wesentlicher Knackpunkt. Oft wanden sich die Hersteller heraus, indem sie erklärten, unter gewissen Umständen könne das Ergebnis nicht erreicht werden. Hier sind wir gespannt auf die aktuelle Umsetzung. Biologische Prozesse sind oft fehlerbelastet, weil sie von vielen Faktoren abhängen. Wie sicher eine Vorhersage funktioniert, beispielsweise welche Medikation eines Patienten bestimmte Auswirkungen zeigt … das wird richtig spannend. Eine heute erfasste Dokumentation kann schon morgen nicht mehr gültig sein, wenn neue Erkenntnisse durch die Marktbeobachtung hinzukommen.

mt-medizintechnik: Das hört sich schwierig an. Wie kann man richtig vorgehen?

Stockhardt: Es gibt eine Verpflichtung zum Risikomanagement, die für die korrekte Umsetzung der IVDR noch wichtiger wird. Man fängt nicht mehr einfach nur an ein Produkt zu entwickeln und beendet einen Prozess, im Gegenteil: Man muss täglich daran weiterentwickeln. Dabei helfen unter anderem Qualitäts-Managementsysteme. Die Umsetzung dieser Rechtslage und der damit verbundenen Marktbeobachtung müssen ab jetzt alle Institutionen nachweisen und dokumentieren, nicht nur die Hersteller. Händler, Distributoren, Anwender, Behörden, Prüfeinrichtungen, Benannte Stellen, TÜV-Einrichtungen … alle wurden durchgeregelt und mit unterschiedlichen Übergangsfristen versehen. Sie hängen allerdings am Informationstropf der Gesetzgeber, weil diese erst die Fakten schaffen und darstellen müssen; danach können sie reagieren. Wenn diese Grundvoraussetzungen jedoch erst im April 2022 stehen, haben es die Folgeinstitutionen nicht leicht. Wir sehen hier eine hohe Nachweis- und Umsetzungslast für die Hersteller.

Das vollständige Interview finden Sie in der Printausgabe mt-medizintechnik Heft 5/2018, das am 22.Oktober erscheint.

Quelle Text: Mirjam Bauer

Quelle Bild: Stockhardt privat