KI verbessert Diagnose und Behandlung neuromuskulärer Erkrankungen

(September 2020) Durch Analysen von Patientendaten mithilfe eines speziellen Verfahrens auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) sollen im Rahmen eines Forschungsprojekts die Diagnose und Behandlung neuromuskulärer Erkrankungen verbessert werden. Dr. Andreas Roos aus der Abteilung für Neuropädiatrie im Universitätsklinikum Essen und Projektmanager beleuchtet die Ziele genauer.

Am Forschungsprojekt arbeiten neben der Neuropädiatrie des Universitätsklinikums Essen noch das Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften, das MVZ Institut für Klinische Genetik Bonn und die Aachener Datenexperten Inform DataLab. Hier die Stellungnahme von Dr. Andreas Roos:

Neuromuskuläre Erkrankungen beeinflussen die Funktion der motorischen Neurone, des peripheren Nervensystems und der neuromuskulären Endplatte, einer Art Schnittstelle zwischen Nervensystem und Muskulatur. Hinzu kommen Erkrankungen, welche die Muskulatur selbst betreffen oder einschränken, oftmals zunächst in der Manifestation einer Muskelschwäche, die dann je nach Krankheitsbild in Muskelschwund übergeht. Zusätzlich leiden die Patienten oft unter Muskelkrämpfen und -schmerzen. Die Diagnose erfolgt aktuell durch eine Kombination aus Klinik, Genetik, Biochemie und Morphologie und ist häufig ein langwieriger Prozess. Nicht selten behandeln wir Patienten, bei denen es zehn, zwölf Jahre dauern kann, bis der Fall gelöst ist.

Gendefekte durch KI schneller entdecken

Eines der Hauptziele im Projekt ist eine beschleunigte Diagnostik. Diese soll, unter Verwendung einer minimalen Menge Probenmaterial, Muster von Proteinregulationen oder Co-Regulation identifizieren und so feststellen, welche Proteine in Kombination mit einer bestimmten Information aus der DNA-Analyse zu einem bestimmten Gendefekt führen. Auf diese Weise kann man direkt das betroffene Gen vorhersagen und die genetischen Befunde besser interpretieren. Vorhersagealgorithmen, wie sie vom Inform DataLab entwickelt werden, helfen, den verursachenden Gendefekt festzumachen. So können die Patienten schnellstmöglich mit dem Wissen über das verantwortliche Gen in die genetische Beratung gehen. Dementsprechend soll die jahrelange „diagnostische Odyssee“, welche die Patienten oftmals erleiden, verhindert werden.

Gezielte Auswertung großer Datenmengen

In dem Projekt werden rund 500 Patienten untersucht und ein komplettes Bild über deren relevante Regionen von jeweils 25.000 Genen gegeben. Hinzu kommen die Dokumentation der Proteinsignatur ihrer Skelettmuskulatur und weitere klinische Daten. Gerechnet wird mit über 100 Gigabyte Daten pro Patient, also insgesamt rund 50 Terabyte. Außerdem sollen durch breitere Einblicke in die Gesamtsignatur des Erbguts das Zusammenspiel von Veränderungen in zwei verschiedenen Genen erforscht werden. KI eröffnet neue Möglichkeiten, um solche Datenmengen, wie sie in der Medizinforschung häufig und in noch viel größerem Maße vorliegen, schnell und gezielt auszuwerten.

Neben der Identifikation der verursachenden Gendefekte versuchen wir mit KI zu bestimmen, ob die Regulierung bestimmter Proteine im Blut die Regulierung bestimmter Stoffwechselwege in der Muskulatur beeinflusst. So kann KI zukünftig helfen, die Notwendigkeit invasiver Muskelbiopsien zu vermindern, indem sie bereits durch die Untersuchung der Blutprobe klärt, welche Proteine im Blut die Muskulatur oder die Stoffwechsellage im Muskel verändern. Mit diesem Wissen können wir herausfinden, wie bestimmte Therapieformen je nach Kombination von fehlregulierten Proteinen und genetischen Veränderungen eingesetzt werden können. Auf diese Weise können im Bereich der neuromuskulären Erkrankungen möglicherweise zunehmend personalisierte Therapien Einzug finden.

Quelle Text: Dr. Andreas Roos, Universitätsklinikum Essen in Kooperation mit Inform

Quelle Bild: Roos privat