Symposium „Daten statt raten“ vermittelt konkrete Ansätze und Vorteile von Simulation für Medizintechnik

(April 2024) Beim Symposium „Daten statt raten“ zeigten Entwicklungen und Best Practices aus Industrie und Forschung, dass Simulation der Medizintechnik bereits sehr reale Chancen bietet, ihre Wettbewerbsfähigkeit auszubauen – und den Patienten ungeahnte Perspektiven eröffnet.

Solange sich ein Knieimplantat außerhalb des Körpers befindet, sind seine Eigenschaften recht einfach vorherzusagen. Sobald es aber seine Funktion als Gelenk übernimmt, steigt die Komplexität exponentiell an. Knochen, Muskeln, Bänder, Vorerkrankungen, Statur, Geschlecht und Alter bringen eine Vielzahl an Variablen und Variationen ins Spiel. Ließe sich im Vorfeld eines Eingriffs simulieren und schon entsprechend berücksichtigen, wie sich die Faktoren mittel- bis langfristig auswirken – Patienten könnten mit einem ebenso exponentiellen Zugewinn an Zufriedenheit und Lebensqualität rechnen. Ist das alles noch Zukunftsmusik? Dieser Begriff verhallt beim Thema Simulation so schnell wie nur in wenigen anderen Bereichen.

Yvonne Glienke (MedicalMountains GmbH) und Andreas Wierse (CASE4Med) führten durch einen Tag, der rund um Simulation kreiste – also allgemein formuliert um den „Versuch, etwas aus der realen Welt digital nachzubilden“. Dies kann umso exakter geschehen, je genauer man um die reale Welt weiß. Bedeutet: Vor jeder Simulation braucht es Daten, Messungen, Formeln, Training – und damit den Abgleich, ob das, was der Computer prognostiziert, mit den Erwartungen und der Wirklichkeit in Einklang steht.

Beispiel Bewegungsapparat: In seiner Keynote führte Prof. Oliver Röhrle (Universität Stuttgart) vor Augen, wie weit die Entwicklung bereits gediehen ist. Die Arbeit gleicht einer Art Reverse Engineering: die Rückübersetzung neuromuskulärer Vorgänge in Rechenoperationen. So kann bereits nahezu in Echtzeit visualisiert werden, wie sich Armmuskeln bei verschiedenen Bewegungen ausdehnen oder zusammenziehen – die mittlere Abweichung zwischen Simulation und tatsächlicher Beobachtung beträgt weniger als einen Millimeter.

Beispiel klinische Studien: Die In-silico-Simulation biophysikalischer Prozesse hat das Potenzial, die Dauer klinischer Studien zu reduzieren und Kosten zu senken. Davon könnten vor allem Nischenprodukte profitieren, erinnerte Dr. Okan Avci (Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung). Die FDA arbeitet bereits an Guidelines für gute physikbasierte Simulationen. Dabei muss auch werden, welchen Einfluss die Simulation auf die Entscheidung im Vergleich zum Experiment hat. „Je höher das Risiko, desto mehr Aufwand bei der Validierung“, fasste Dr. Okan Avci zusammen.

Beispiel Produktzulassung: Sven Siefert (B&W Engineering und Datensysteme GmbH) zeigte ein Best Practice, wie Simulation den Verifikationsaufwand reduziert. Gelungen ist dies bei einem halbautomatischen Injektions-Pen, wie er beispielweise bei Hormontherapien zum Einsatz kommt. Das Ziel: durch Simulation so viele Prüfläufe wie möglich zu ersetzen und deren Aussagen etwa zu Präzision und Lebensdauer anerkennen zu können. Der Erfolg: 22 Verifikationstests konnten auf 15 reduziert werden; anstatt rund 5.000 mit Medikamenten gefüllten Ampullen genügten am Ende 300.

Beispiel Reinigungssimulation: Ansätze aus einer anderen hygienekritischen Branche, der Lebensmittelindustrie, vermittelte Dr. Matthias Joppa (Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung). Mithilfe numerischer Strömungssimulation ist die Innenfläche eines dünnen Rohres so optimiert worden, dass die Reinigungsgeschwindigkeit deutlich zunimmt. Dieses Feld ist ebenfalls sehr diffizil: Für die Simulation pulsierender Wasserstrahlen braucht es derzeit eine Rechendauer von bis zu zwei Wochen.

Was Dr. Matthias Joppa für seinen Fachbereich an Vorteilen aufführte, konnte als Quintessenz des gesamten Symposiums verstanden werden: Simulation bedeutet, Prozessverständnis zu steigern, Zeiten und Kosten zu reduzieren, Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. „Der Know-how-Vorsprung in einem komplexen Feld ist sehr wertvoll“, riet Andreas Wierse den Unternehmen, jene Themen zu identifizieren, „die wirklich relevant sind und bei denen es sich lohnt, tiefer zu bohren“ – und diese Schritte als Industrie und Forschung im engen Austausch zu gehen: „Wenn das Netzwerk trägt, kann man höher springen.“ Die Grundlage dafür wurde nicht zuletzt bei dem Symposium der MedicalMountains GmbH und des Medical Solution Center CASE4Med gelegt.

Quelle Text und Bild: MedicalMountains