Therapeutische Impfstoffplattform zur Behandlung mehrerer Krebsarten

(Mai 2022) Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung der Schweizer Biotechnologin Madiha Derouazi und der französischen Immunologin Elodie Belnoue für den Europäischen Erfinderpreis 2022 bekannt. Ihre neue Methode zur Herstellung von Impfstoffen kann ggf. zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden 

Ihre Technologieplattform namens KISIMA (Suaheli für „gut“) kann zur Herstellung von Impfstoffen zur Therapie verschiedener Krebsarten verwendet werden. Im Gegensatz zu prophylaktischen Impfstoffen, die Krankheiten vorbeugen, wirken diese therapeutischen Impfstoffe dadurch, dass sie den Körper zu einer starken Immunreaktion auf die Krankheit anregen. Ihre Erfindung könnte eine zusätzliche Möglichkeit der Behandlung von Krebs bedeuten. Weltweit sind Krebserkrankungen für einen von sechs Todesfällen verantwortlich, in Europa ist sogar jeder fünfte Todesfall darauf zurückzuführen.

Forscher, die zuvor versucht haben, therapeutische Krebsimpfstoffe zu entwickeln, konnten entweder keine starke Immunantwort erzeugen, oder die Impfstoffe waren nur bei wenigen Patienten wirksam.

Derouazi und Belnoue haben Klinikern ein Instrument an die Hand gegeben, welches das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten von Krebs erweitert und viele Leben retten könnte“, so EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2022. „Derzeit gibt es keine vergleichbaren Lösungen auf dem Markt, was den Einfallsreichtum der beiden Wissenschaftlerinnen und ihre Beharrlichkeit noch unterstreicht.“

Derouazi und Belnoue wurden gemeinsam als eines von vier Finalisten-Teams in der Kategorie „KMU“ nominiert, in der herausragende Erfinder aus kleineren Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von unter 50 Mio. Euro ausgezeichnet werden. Die Gewinner der diesjährigen Ausgabe des Europäischen Erfinderpreises des EPA werden am 21. Juni im Rahmen einer virtuellen Preisverleihung bekannt gegeben.

Entwicklung eines Impfstoffs zur Krebsbehandlung

Die Biologin Madiha Derouazi begann mit der Entwicklung therapeutischer Krebsimpfstoffe während ihrer Postdoc-Tätigkeit am französischen Nationalen Zentrum für Wissenschaftliche Forschung (CNRS). Solche Impfstoffe werden zur Behandlung von Patienten eingesetzt, die bereits erkrankt sind. Sie unterstützen ihr Immunsystem bei der Bekämpfung der Krankheit.

Derouazi arbeitete an Trägersystemen für Antigene (=Substanzen, die im Körper eine Immunreaktion auslösen). Dabei zog sie in Betracht, dass Krebsantigene verwendet werden könnten, um das Immunsystem zur Krebsbekämpfung anzuregen – vorausgesetzt, diese ließen sich wirksam in die Zellen einbringen. Zur gleichen Zeit arbeitete ein Bekannter an einem System zum Transport von Proteinen in Zellen. Derouazi erkannte, dass ein ähnlicher Ansatz zum Transport proteinbasierter Krebsimpfstoffe verwendet werden könnte. Die Idee therapeutischer Impfstoffe zur Behandlung von Krebs wurde jedoch von vielen Forschern für undurchführbar gehalten: „Niemand hat geglaubt, dass man das Immunsystem so modulieren könnte, dass es gezielt gegen Krebs vorgeht – nicht einmal Onkologen“, sagt Derouazi.

Nach ihrem Wechsel an die Universität Genf begann Derouazi an einem Verfahren zu arbeiten, mit dem drei wesentliche Impfstoff-Komponenten zu einem einzigen Molekül zusammengefügt werden können: ein Peptid (Teil eines Proteins), das in Zellen eindringen kann, um Antigene zu liefern; ein Frachtmolekül mit Antigenen, die auf die zu behandelnde Krebsart zugeschnitten sind, und ein weiteres Peptidmolekül zur Verstärkung der Immunantwort. Im Jahr 2012 meldete die Wissenschaftlerin ein Patent an und gründete das Spin-Out-Unternehmen AMAL Therapeutics, um die Plattform für die Impfstoffherstellung aufzubauen und zur Marktreife zu bringen. Elodie Belnoue, die Derouazi an der Universität Genf kennengelernt hatte, war ihre erste Mitarbeiterin. 

Die Arbeit der Wissenschaftlerinnen wurde von der Zielsetzung geleitet, eine bessere Methode zur Behandlung von Krebs zu entwickeln. „Vor zehn Jahren basierte die Behandlung von Krebs auf Chemotherapien, mit oft schlechten Prognosen und sehr geringen Behandlungsmöglichkeiten“, so Derouazi. „Wir haben nach Alternativen gesucht. Ein therapeutischer Impfstoff zur Modulation des Immunsystems hätte sicherlich nicht die gleichen negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten wie eine Chemotherapie.“

Im Juli 2019 wurde AMAL Therapeutics vom Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim für 425 Mio. Euro übernommen, was in dem Jahr der größte Verkauf eines Biotech-Unternehmens in Europa war. Laut Derouazi war die Sicherung eines Patents von zentraler Bedeutung, um den Wert des Unternehmens als Biotech-Start-up zu behaupten: „Ohne Patent hat man keine Chance, denn man hat kein Produkt, man hat keine Erfindung, die man hochhalten und vorzeigen kann.

Das Team konzentriert sich derzeit auf die Verwendung der Plattform, um Impfstoffe zur Behandlung von Darmkrebs herzustellen. Der betreffende Impfstoff befindet sich in einem frühen Stadium der Erprobung am Menschen, wobei er sowohl allein als auch in Kombination mit immunstärkenden Medikamenten, sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, an Patienten getestet wird.

Die mit KISIMA hergestellten Krebsimpfstoffe sollen bestehende Behandlungsmethoden wie Chirurgie, Chemotherapie und Strahlentherapie ergänzen und nicht ersetzen. Insgesamt wird erwartet, dass der globale Markt für Krebsimmuntherapien von 2021 bis 2026 um 12,6 % wachsen und 253 Mrd. Euro erreichen wird.

Quelle Text: Europäisches Patentamt (EPA)

Quelle Foto: Damien Blanchard