Trotz hoher Einsparungen weiter steigende Arzneimittelausgaben

(Oktober 2020) Der neue Arzneiverordnungs-Report liegt vor. In der aktuellen Springer-Publikation konstatieren die Herausgeber Ulrich Schwabe und Wolf-Dieter Ludwig jährliche Einsparungen von 16,8 Mrd. EUR bei Arzneimittelkosten durch gesetzliche Maßnahmen. Dennoch sind die Arzneimittelausgaben 2019 auf um 5,4 Prozent auf 43,4 Mrd. EUR angestiegen.

Als Hauptursache benennen die beiden Experten neue hochpreisige patentgeschützte Arzneimittel. Dieser Trend sei am stärksten ausgeprägt bei den Onkologika zur Behandlung von Krebskrankheiten (8,2 Mrd., +13,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Überdurchschnittliche Zunahmen zeigen auch Immunsuppressiva (5,6 Mrd., +7,5 Prozent), Antithrombotika (2,6 Mrd., +10,0 Prozent) und Dermatika (1,9 Mrd., +13,5 Prozent). Ein Hauptgrund für die Kostenprobleme sei ein sechsfacher Anstieg der durchschnittlichen Jahrestherapiekosten neu eingeführter Patentarzneimittel von 34.253  auf 217.312 in den letzten zehn Jahren.

Die hohen Arzneimittelpreise stünden in keiner erkennbaren Relation zum erzielten therapeutischen Fortschritt, lautet das Urteil der Report-Herausgeber. Nach zehn Jahren Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) zeige eine Analyse der frühen Nutzenbewertung, dass nur in 45 Prozent der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ein belegter Zusatznutzen konstatiert wurde. Eine besondere Herausforderung für die Nutzenbewertung seien hochpreisige Arzneimittel für die Gentherapie und andere neuartige Therapien. Mehrere gesetzliche Regelungen hätten die massive Kostendynamik nicht abbremsen können, obwohl bei den Arzneimittelausgaben 2019 hohe Einsparungen durch Festbeträge (8,2 Mrd.), Rabattverträge (5,0 Mrd.) und das AMNOG (3,6 Mrd.) erzielt wurden.

Nach den Analysen der Herausgeber hat der kontinuierliche Ausgabenboom vielfältige Ursachen. Neben der Einführung hochpreisiger Patentarzneimittel hapert es an effektiven Marktregulierungsinstrumenten nach Ablauf des Patentschutzes. Noch immer sind patentfreie Biologika (Biosimilars) in anderen europäischen Ländern wesentlich billiger als in Deutschland. Markantes Beispiel sind die Jahreskosten des teuersten Wirkstoffs Adalimumab. Auch zwei Jahre nach dem Patentablauf hat das frühere Originalpräparat (Humira) immer noch einen Marktanteil von 70 Prozent. Die Jahreskosten betragen weiterhin 1,0 Mrd., während mit Biosimilars aus anderen europäischen Ländern 457 Mio. eingespart werden könnten. Noch grotesker ist die Situation bei patentfreien Nichtbiologika aus der Gruppe der Krebsmedikamente. Bei den Patentabläufen des Jahres 2019 sind Parallelimporte von einigen Originalpräparaten deutlich billiger als die ersten deutschen Generika, während mit Generika aus anderen europäischen Ländern bereits Einsparungen von über 40 Prozent erzielt werden können.

Eine weitere Ursache ist die schleppende Umsetzung des früher so erfolgreichen deutschen Festbetragssystems. Bei dem Biologikum Infliximab hat es nach dem Patentablauf etwa 3 Jahre gedauert, bis eine Festbetragsgruppe durch den G-BA und den GKV-Spitzenverband etabliert werden konnte. Bei dem erfolgreichen Krebsmittel Imatinib gibt es seit 2017 preisgünstige Generika, aber immer noch keinen Festbetrag, obwohl die Generika zu Imatinib nur noch 5 Prozent des Originalpräparats kosten. Eine Forderung der Herausgeber ist daher bei Biosimilars die Vereinbarung von Erstattungsbeträgen durch den GKV-SV wie bei patentgeschützten Arzneimitteln mit Angaben zur Höhe des tatsächlichen Preises in anderen europäischen Ländern. Auch bei der Berechnung von Festbeträgen sollten die Packungspreise in anderen europäischen Ländern berücksichtigt werden.

Quelle Text: Springer Nature

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