Vielseitiger Job mit Blick über den Tellerrand: Sachverständiger für Medizinprodukte

(November 2018) Der Bundesverband der Sachverständigen für Medizinprodukte e. V. (BSM) fördert die selbstständige Tätigkeit der einzelnen Mitglieder. Zudem sichert er durch entsprechende Zugangsstandards bei der Arbeit dieser Berufsgruppe eine hohe Qualität von Medizinprodukten. Dachverband ist der Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger e. V. (BVS).

Gegründet wurde der BSM im Jahr 1994. Zu zwei jährlichen Veranstaltungen – der Hauptversammlung und dem Frühjahrstreffen – kommen die Sachverständigen zusammen. Eigentlich sind sie Konkurrenten, doch die relativ kleine Berufsgruppe sieht sich nicht als solche an. Im Gegenteil: Der Verband vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber Dritten beispielsweise bei Honoraren. Sie stehen so, im Gegensatz zu einzeln agierenden Sachverständigen, besser da.

Leider ist der Begriff des „Sachverständigen“ nicht geschützt. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber in § 36 der Gewerbeordnung festgelegt, dass Sachverständige durch die regional zuständigen Industrie- und Handelskammern (IHKs) öffentlich zu bestellen und zu vereidigen sind. Dies sichert eine hohe Qualität im Sachverständigenwesen und dient dem Verbraucherschutz. Ein bestandener Test der fachlichen und persönlichen Eignung ermächtigt zur Führung der Bezeichnung „öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger“. Mit diesem Titel darf man Gutachten in ganz Deutschland erstellen, nach fünf Jahren muss die Prüfung wiederholt werden.

Aufgaben und Ziele des Verbandes

Der Verband agiert zum einen als Anlaufstelle für Gerichte, die Sachverständige suchen, und schlägt geeignete Personen vor. Über eine Webliste ist diese Suche, auch nach Fachgebieten, ebenso möglich. Zudem berät der Verband und ergänzt Fachgremien, indem seine Sachverständigen dorthin einberufen werden. Er arbeitet zusammen mit IHKs und anderen „Bestellungs“-Körperschaften, vor allem in der Sachgebietseinteilung. Auch Weiterbildungen (im Bereich Gesetze, Normen, Sachverständigenwesen) und der Erfahrungsaustausch untereinander spielen eine wichtige Rolle. Die explosionsartige Wissenszunahme in der Medizin und Technik erfordert ständiges Neulernen und Weiterqualifizieren. Dazu bietet der Verband Seminare und Schulungen, und er spricht Empfehlungen aus.

Was leistet ein Sachverständiger?

Voraussetzungen für die Arbeit als Sachverständiger in der Medizintechnik sind ein überdurchschnittliches Engagement und Kenntnisse in Physik, Medizin sowie Recht. An dieser Schnittstelle, im besten Fall angereichert mit Informatik, Elektrotechnik und guten Deutschkenntnissen, liegen die Aufgaben dieser abwechslungsreichen interdisziplinären Tätigkeit. Sie kann hauptamtlich oder als Nebentätigkeit ausgeübt werden. Nebenberuflich agieren beispielsweise angestellte Medizintechniker aus Krankenhäusern, Ingenieure aus der Forschung bzw. von einem Prüfinstitut oder Hochschullehrer.

Die Hauptaufgabe der Sachverständigen liegt in der Erstellung von Gutachten. Zum einen fordern Gerichte und Behörden diese, um Sachverhalte zu klären, andererseits wünschen auch Kliniken, Praxen, Versicherungen oder Industrieunternehmen Privatgutachten.

So beginnt ein Fall mit dem Lesen der Akten und einer Fragestellung – meist von Juristen geschrieben –, die zu beantworten ist. Er folgen Schriftverkehr mit Prozessbevollmächtigten (häufig fehlen Informationen) und Ortstermine in Klinik oder Praxis. Dort stellt der Sachverständige Tatsachen fest, führt Messungen durch, fertigt Fotos an und führt ggf. auch Gespräche. Danach schreibt er das Gutachten.

Oft folgt darauf ein Gerichtstermin zur Erläuterung, dazu wird der Sachverständige geladen. Manchmal geht ein Fall auch durch mehrere Instanzen. Wichtig ist dabei, dass der Sachverständige seine fachliche Kompetenz beweist und stets neutral, seriös sowie auf Augenhöhe mit dem Gericht agiert. Er sollte sich niemals auf eine Seite stellen. „Auch wenn es in manchen Fällen unter die Gürtellinie gehen kann, muss man ‚cool‘ bleiben. Wenn eine Partei verliert, neigt sie dazu, den Sachverständigen bloßzustellen. Das darf man nicht persönlich nehmen“, so das Resümee eines langjährigen Mitglieds.

Nachwuchs und Zukunftsaussichten

„Wir sind wenige und können viel. Doch wir brauchen neue Mitglieder. Sonst stehen die Gerichte bald ohne Sachverständige da“, betont Hans-Dieter Dejon bei der BSM-Hauptversammlung. „Leider haben viele Kammern bislang nicht bemerkt, dass es kaum noch Fortbilder für unseren Bereich gibt“, ergänzt der Erste Vorsitzende Gunther Haufe. „Erst wenn im Sachverständigenverzeichnis keiner mehr steht, bemerkt es die IHK…“.

Immerhin: Der Nachwuchs steht schon bereit. Zur Hauptversammlung im September in Berlin kamen zwei Interessierte, um sich zu informieren. Beide haben Medizintechnik studiert und sind bereits einige Jahre in der Dienstleistung beschäftigt. „Es ist spannend, über den Tellerrand der Fachgebiete zu schauen. Die Sachverständigenarbeit bietet Vielfalt und Abwechslung“, so ein junger Kollege. „Neben der fachlichen Herausforderung habe ich Freude an Recherche-Arbeiten und schätze die gute Reputation in der Öffentlichkeit“, erklärt ein weiterer Anwärter.

Doch: Es dürften gern mehr junge Kollegen sein, die den Verband unterstützen, zumal in den nächsten Jahren einige der langjährigen Mitglieder in den Ruhestand gehen. Wichtig ist nur die Unabhängigkeit, bei Anwärtern aus der Industrie ist diese in der Regel nicht gegeben.

Digitalisierung und Zertifizierung

„Die meisten Sachverständigen arbeiten voll digital, nur die Behörden, Gerichte etc. schaffen das leider noch nicht. Trotz digitaler Transformation wird das wohl noch eine Zeit lang so bleiben. Wir müssen die Gutachten manchmal fünffach ausdrucken, weil das Gericht das anfordert … Immerhin finanzieren sich so unsere Drucker, denn jede Seite ist mit 50 ct anrechenbar“, schmunzelt Haufe.

Ein verbandseigenes QM-System wurde bereits vor Jahren eingeführt. Obwohl die öffentliche Bestellung und Vereidigung mindestens so wertvoll ist wie eine Personenzertifizierung, wurde in der letzten Mitgliederversammlung beschlossen, dieses QM-System parallel fortzuführen. Damit hat jedes Mitglied die Chance, an der Erstellung aktiv mitzuwirken und sich auch vom Verband zertifizieren zu lassen.

Mein Fazit:

Diese Tätigkeit bleibt spannend. Sie bewegt sich zwischen persönlicher Tragik – wenn Menschen aufgrund technischer oder medizinischer Fehler ihr Leben verlieren – bis hin zu Streitfällen, in denen es nur ums Geld geht. Leider bleiben Versicherungsbetrüge ein ständiges Thema. Manchmal gibt es sogar Klagen gegen Kliniken, und nicht nur gegen Chefärzte … Wer hätte gedacht, dass in Zeiten knapper Ressourcen so viele in Verdacht geraten, sich finanziell unrechtmäßig zu bereichern!

Hoffentlich finden viele Medizintechniker bzw. Mediziningenieure hier ein neues Tätigkeitsfeld, um die traditionelle Qualität „made in Germany“ auch in Zukunft zu gewährleisten.

Quelle Text und Bild: Mirjam Bauer